Karl Friedrich Borneff als Zeitzeuge
Karl Friedrich Borneff wurde am 7. April 1930 in Coburg geboren und verstarb im Jahr 2000. Schon als Jugendlicher von 14 Jahren machte er sich heimlich mit einer Kamera auf den Weg und wurde damit zu einem wichtigen Zeugen von Gewalt und Krieg in dessen Endphase. So war er beispielsweise am 31. April 1944 vor Ort, um – nach eigenen Worten – „hinter dem Rücken des Polizisten“ ein „abgestürztes amerikanisches Bombenflugzeug“ auf Fotos zu dokumentieren. Die Aufnahmen lassen auch einen heutigen Betrachter nicht gleichgültig.
Fotos vom Flugzeugabsturz, aufgenommen von Borneff 1944, aus einem Fotoalbum
Zudem lag sein Elternhaus in dem Stadtviertel, das bei einem Bombenangriff am 8. April 1945 im ansonsten relativ wenig zerstörten Coburg die schwersten Schäden mit Todesopfern erlitt. Auch hier war er mit seiner Kamera zur Stelle.
Karl Friedrich Borneff hat aufgezeichnet, was er an diesem Tag erlebte:
„Bei dem Bombenangriff war nur ‚Vorwarnung‘ gemeldet worden (dreimaliges Auf und Ab des Heultons der Sirenen). Es war kein ‚Fliegeralarm‘ (oftmaliges Auf und Ab des Heultons der Sirene) angekündigt worden. Nach meiner Meinung lag bei dem überraschenden Angriff amerikanischer Flugzeuge am Sonntagnachmittag (etwa zwischen 17 und 18 Uhr) ein Versagen im Warnsystem der deutschen Luftwaffe vor.
Im Eckhaus Große Johannisgasse / Theatergasse kam eine ältere verheiratete Frau mit dem Namen Schildbach ums Leben. Die aus Berlin evakuierte Charlotte Zimmermann wohnte nur vorübergehend hier. Durch herabstürzende Balken wurde ihr ein Bein abgequetscht. Sie starb Wochen später im Coburger Krankenhaus. Die Hausbesitzerin, Frau Riechers, als ‚Mutter Riechers‘ von den Nazis besonders verehrt, kam mit dem Schrecken davon. Mit dem Sofa brach sie durch den Fußboden in die Tiefe und landete unverletzt, aber völlig verstört und immer noch im Sofa sitzend vor dem Haus auf der Straße.“
Blick zum Zeughauseck (Theatergasse/ Große Johannisgasse) in die Theatergasse bis zum Salzmarkt
Häuserreihe von links nach rechts: Eckhaus Riechers (m1t Stützbalken), daneben Haus mit Metzgerladen der Schwestern Zetzmann und Bauer (Verkaufsstelle Fa. Großmann AG). Die zwei Häuser daneben (durch
Schutthaufen etwas verdeckt) zeigen d1e Schaufenster des Theatercafes Winzer (Inhaber: Konditormeister Ludwig Scheidig). Die Schaufenster sind bereits mit Brettern zugenagelt. Rechts neben dem Schutthaufen (nicht zu sehen) die Längsseite des früheren „Patrizier“.
Text und Foto: Karl F. Borneff/Coburg
Foto: 1945
Was Borneff in dieser Zeit erlebt hatte, ließ ihn sein Leben lang nicht mehr los – es war für sein späteres Werk als Künstler von geradezu traumatischer Wirkung. Mit klarem Blick für die Realität stellte er sich den Themen seiner Zeit:
- dem Missbrauch politischer Gewalt,
- dem Krieg und der Zerstörung,
- dem Konsumwahn auf der einen und der stalinistischen Verfolgung auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs,
- dem Irrwitz des Kalten Krieges und der atomaren Hochrüstung und einer Vielzahl anderer Problemen von politischer und gesellschaftlicher Relevanz.
Sein Werk – sei es in Form kleiner Portraits oder großer, sozialkritischer Collagen – ist zu verstehen als ein Spiegel der Brüche und Widersprüche unserer Welt und bleibt damit ein aktuelles Plädoyer gegen ideologische Verengung, Ungerechtigkeit, Unterdrückung, Isolation, Ausgrenzung und eine durch Menschenhand gefährdete Umwelt. Sein heute relativ geringer Bekanntheitsgrad in seiner Heimatstadt steht in keinem Verhältnis zu seinen gesellschaftskritischen und künstlerischen Potenzialen.
Dies zu dokumentieren ist auch Sinn der Ausstellung in Rückert 3 im Frühjahr 2025
Texte: Rupert Appeltshauser