Inschrift am Justizgebäude in der Ketschengasse 1

 

Diese lateinische Inschrift dürfte wohl kaum jemandem bekannt sein, zumal sie kaum zu entdecken ist. Sie befindet sich links vom Haupteingang am nordwestlichen Portal, einem Nebeneingang.

Interessant ist, dass sie – ebenso wenig das Portal – bei Wikipedia nicht erwähnt wird, an „Kunst“ lediglich ein stilisierter Löwe und  eine Grisailledarstellung eines Hirten von Blasius Spreng (1953) im Treppenhaus Erwähnung finden. Im Häuserbuch der Stadt Coburg (P. Morsbach, O. Titz: Stadt Coburg; Denkmäler in Bayern; Band IV.48; S. 164) wird immerhin auf das „Flachrelief zweier Löwen, eines Menschen und einer Inschrift“ verwiesen, was aber auch zeigt, dass man sich nicht bemüht hat, die Inschrift zu entziffern. Das Relief wurde von dem Coburger Bildhauer Hans Kohler um 1955 erschaffen (vgl.: Ortel / Wunderer S. 33).

 

Wenn man (vom Betrachter aus am linken Pfosten) genau hinsieht – am besten kann man Details mittags um 12.00 Uhr an einem sonnigen Tage erkennen, weil dann die eingemeißelten Buchstaben durch den Schatten erkennbar sind -. so kann man lesen:

DANIEL IN FOSSA LEONUM  

Damit ist „Daniel in der Löwengrube“ gemeint, dessen Geschichte in der Bibel (Dan 6,26-28) niedergeschrieben ist. So erfährt man bei Wikipedia, dass

der neue König Darius von Neidern Daniels gedrängt wird, ein Gesetz zu erlassen, das, für 30 Tage, die Anbetung von Göttern außer ihm bei Androhung der Todesstrafe verbieten soll. Weil Daniel jedoch weiterhin die täglichen Gebete verrichtet, wird er in die Löwengrube geworfen, die der König selbst versiegelt. Am anderen Morgen ist er noch am Leben: „… und man fand keine Verletzung an ihm, denn er hatte seinem Gott vertraut“. Daraufhin lässt der König Daniels Feinde töten und erlässt ein Gesetz, das die reichsweite Achtung des biblischen 1. Gebots festschreibt.

Dieses zeitgenössische Relief bezieht sich auf die gleiche Bibelstelle wie ein – leider verlorenes – Distichon (bzw. Epigramm) im Eingangsbereich des Hauses Spitalgasse 3 (vgl. Haas zu Spitalgasse 3; 1511), von dem nur noch die Fassade steht, während das Innere zugunsten eines Drogeriegeschäfts abgerissen worden ist:

Chasäus Daniel sedet inter ora leonum.

Sic totus tutus, quem Deus ipse tegit.

Aber der Chasäer Daniel sitzt zwischen den Mäulern der Löwen.

So ist [der] ganz sicher, den Gott selbst schützt.

[Chasäus kann nicht erklärt werden, da die Originalinschrift nicht untersucht werden kann. Bei Chasäus stört das im Lateinischen ungewöhnliche „ä“, eher wahrscheinlich ist, dass es sich um einen Schreib- bzw. Lesefehler handelt. Versuche, dafür Chaldäer, Chasside etc. zu lesen, überzeugen nicht.]

Die Aussage dieses Epigramms ist Gottvertrauen, ohne dass deutlich wird, wodurch oder warum der Besitzer dieses Hauses – und nicht der Nachbar – oder gar alle Menschen – von Gott beschützt wird bzw. beschützt werden sollte.

 

Nun fragt sich der Leser – bzw. der Betrachter vor dem Portal am Gerichtsgebäude -, was es damit auf sich hat. Hätte es nicht Themen gegeben, die deutlicher auf Rechtsprechung und Gerichte hingewiesen hätten wie z. B. das Salomonische Urteil, zu dem bei Wikipedia explizit zu finden ist: Das Urteil des Salomon diente bei der Ausstattung von profanen Bauten als Exemplum für die Herrschertugenden Gerechtigkeit und Weisheit.

Warum also „Daniel in der Löwengrube / Daniel in fossa leonum?

  • Zunächst handelt es sich um ein Beispiel für „Kunst am Bau“, deren Hintergrund so zu beschreiben ist: Der Freistaat Bayern legt bei Bauvorhaben im eigenen Zuständigkeitsbereich großen Wert auf die Beteiligung von Künstlern/innen. Bei Baumaßnahmen im staatlichen Hochbau sind daher, gemäß Richtlinien für die Durchführung von Hochbaumaßnahmen der Staatsbauverwaltung (RLBau), bis zu 2% der reinen Bauwerkskosten für Aufträge an Künstler/innen vorzusehen, – soweit Zweck und Bedeutung der Gebäude dies rechtfertigen. Diese Regelung entspricht dem in der Verfassung festgeschriebenen Anliegen des Freistaates Bayern, „Wissenschaft und Kunst“ zu unterstützen und zu fördern. 

 

  • Damit stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang mit „ Zweck und Bedeutung des Gebäudes“. Zunächst scheint es sich ja um ein religiöses Thema ohne Bezug zu einem Gerichtsgebäude zu handeln. Noch dazu ist seltsam, dass Gott direkt eingreift in das Geschehen auf der Erde, indem er Daniel bei den Löwen hilft, die Gegner aber von den Löwen zerreißen lässt. Ist das göttliche Gerechtigkeit?

 

  • Betrachtet man dann aber genauer die Zwangslage Daniels, sein Dilemma,  so erkennt man, dass er sich entscheiden muss zwischen dem vom König erlassenen Gesetz und dem Gebot Gottes, womit der Gegensatz zwischen dem positiven Gesetz (positives Recht) und dem Naturgesetz (Naturrecht; = Rechtsphilosophie: Gott hat – als Rechtsquelle – die Rechtsprinzipien bei der Schöpfung geschaffen) deutlich gemacht wird.

 

  • Exkurs: Ähnliche Konflikte werden etwa bei Antigone thematisiert, die gegen das Gesetz Kreons ihr eigenes Gewissen über das Gesetz stellt und glaubt, den Göttern mehr gehorchen zu müssen als den Menschen.  Übrigens verlegt Rolf Hochhuth die Handlung in seiner „Berliner Antigone“ in das Ende der Nazi-Zeit. Oder Sophie Scholl (die zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels 100 Jahre alt geworden wäre), die verkündet: „Wir schweigen nicht, wir sind Euer böses Gewissen, die Weiße Rose lässt Euch keine Ruhe!“ Dieses Thema – das Dilemma, dass der Protagonist, egal wie er sich entscheidet, entweder gegen das positive Recht oder das Naturrecht (=göttliches Recht) verstößt, ist bei dem Anfang der 1950er Jahre errichtetem Gebäude durchaus aktuell, denn die Verbrechen des NS-Staates, die durch „positives Recht“ z. B. in Form der „Nürnberger Gesetze“ von den Nationalsozialisten auf juristischer Grundlage institutionalisiert worden waren, waren durchaus präsent. Die Die Rolle der Justiz während des 3. Reichs war noch nicht restlos aufgearbeitet, andererseits wurde aber auch die Frage ständig aufgeworfen, ob etwa ein Eichmann sich darauf berufen konnte, nur „befehlsgemäß“ gehandelt zu haben, oder ob ihm sein Gewissen oder das Wissen um die Erkenntnisse der Aufklärung – also der Grundlagen abendländischer Zivilisation und Kultur – hätte zeigen müssen, dass seine Handlungen Unrecht darstellten. Selbst Hans Karl Filbinger, Ministerpräsident Baden-Württembergs von 1971 bis 1979, führte noch 1978. als der Dramatiker Rolf Hochhuth ihm Beteiligung an Todesurteilen vorwarf und ihn „furchtbarer Jurist“ nannte, als Rechtfertigung an: was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein“. Der Satz wurde jedoch als Ausdruck seines fehlenden Unrechtsbewusstseins und eines Rechtspositivismus verstanden, mit dem er auch nach über 30 Jahren Justizmorde der NS-Zeit rechtfertige.

 

  • Zurück zum Dilemma Daniels: Daniel wird schuldig, denn wenn er Gottes Gebot befolgt, wird er vom König bestraft (vgl. die Darstellung in der Bibel), wenn er aber dem Gesetz des Meder-Königs folgt, um die Strafe zu vermeiden, so macht er sich vor Gott und seinem Glauben schuldig. Das Kriterium ist hier natürlich, dass das Gesetz der Menschen (= des Königs) ungerecht ist, da es nur „erfunden“ wurde, um Daniel ins Unrecht zu setzen und dann dessen Bestrafung fordern zu können. Ebenso schaffen die „Nürnberger Gesetze“ von Grund auf Unrecht und dürfen als „gesetztes Recht“ keine Gültigkeit beanspruchen. Man sieht also, dass diese alttestamentarische Erzählung durchaus Relevanz für die (damals) junge Bundesrepublik und deren Gerichtswesen sowie Rechtsprechung hat.

 

Die künstlerische Gestaltung – vom Bauhaus beeinflusste Schrift und die Darstellung der Löwen und Daniels sowie die Gestaltung des Portals – wird hier nicht betrachtet, es geht hier ja vor allem um die lateinische Inschrift!

 

 

Literatur:

Hans-Ludwig Oertel  Klaus Wunderer: Salve! ein Spaziergang auf der Suche nach lateinischen Inschriften an Coburger Gebäuden und Gedenksteinen; Coburg 2014; S. 31 – 33


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