Totenklage: Grabgedicht auf eine Hündin namens Myia

 

Bei Leibnitz ist wichtig sicherlich die Intention, denn Leibniz benutzt das Klagelied letztendlich um der Scudéry zu schmeicheln. Nicht der psittacus wird gepriesen, sondern die domina, durch deren Kunst der Vogel unsterblich wird. Den Gedanken, dass Literatur unsterblich ist bzw. dazu macht, hat auch Horaz formuliert: Non omnis moriar, („Nicht ganz werde ich sterben“, Zitat aus Horazens Ode III, 30, 6.) Vgl. dazu hier auf der Homepage: Mausoleum im Hofgarten

Leibniz hat aber durch die Übertreibung, dass der Papagei „gelehrt“ sei – schließlich plappert er nur nach – und dass er ewig berühmt sein würde, mit der rhetorischen Figur der Hyperbel den Aussagegehalt selbst relativiert, auch wenn er der Bitte der Scudéry nachkommt und Descartes zu widerlegen scheint.

Einige Parallelen finden sich in dem folgenden Grabgedicht auf eine Hündin namens Myia („Fliege“), das eine Grabplatte aus Marmor des 2. Jh. n. Chr. bietet, die in der Nähe von Auch ( Augusta Ausciorum) in Frankreich gefunden worden war (Carmina Latina Epigraphica 1512):

Quam dulcis fuit ista, quam benigna, Wie süß war sie, wie freundlich,
quae, cum viveret, in sinu iacebat die, als sie lebte, im Schoße lag,
somni conscia semper et cubilis. Mitwisserin des Schlafes immer und des Lagers.
O factum male, Myia, quod peristi. Ach du schlimmes Ereignis, Fliege, dass du gestorben bist!
Latrares modo, si quis adcubaret Würdest du nur, wenn irgendein Nebenbuhler
rivalis dominae, licentiosa. bei der Herrin läge, hemmungslos bellen!
O factum male, Myia, quod peristi. Ach schlimmes Ereignis, Fliege, dass du hingegangen bist!
Altum iam tenet insciam sepulcrum, Das tiefe Grab schon hält dich, ohne dass du es merkst,
nec saevire potes nec insilire, du kannst nicht wüten und nicht hinaufspringen,
nec blandis mihi morsibus renides. und nicht tust du mir freundlich zurück mit liebkosenden Bissen.

An Übereinstimmungen zu Catull fallen vor allem auf:

bellum passerem / dulcis ista; o factum male! / O factum male; in sinu iacebat / a gremio illius movebat.

Außerdem findet sich „o factum malum“ in beiden Gedichten, auch wenn es hier mit „schlimmes Ereignis“, bei Catull dagegen (als Tmesis) mit „Schandtat“ übersetzt worden ist. Durch diese Parallelen fallen aber die unterschiedlichen Zielrichtungen noch stärker auf: Den Verfasser des Myia-Gedichtes trifft der Tod des Hundes vor allem deshalb, weil Myia als eine Art Aufpasser fungiert haben soll, der die Rivalen verbellt hat, also auf Seiten des Dichters stehen soll.

Dass Catull dem Verfasser des Gedichts bekannt gewesen sein dürfte, dies zeigt wohl der letzte Vers mit den „blandibus morsibus“, die besser zum Spatz als zu einem Hündchen passen dürften, und vielleicht noch stärker der 2. Vers, denn das Liegen im Schoß (in sinu iacebat / nec sese a gremio illius movebat) ist für beide Dichter

Ganz deutlich ist der erotische Hintergrund, worauf insbesondere adcubare (beischlafen), sinus (Schoß), conscia cubilis (Mitwisserin des Geschehens im Bett) verweisen. Aber auch dulcis oder blandus gehören zum Wortschatz erotischer Texte.

Schließlich müssen aber auch noch die Bilder des Todes, wie sepulcrum, factum male und perire, betrachtet werden.

 

 

 

 

Schlussbemerkung:

Alle Texte auf dieser Seite haben zwar keinen Bezug zu Coburg, sie sind aber durchaus interessant zu dem Thema der 1. Nox Casimiriana, da beim Gedicht von Leibniz hier durch den Vergleich deutlicher die Intention herausgearbeitet werden kann. Und das Herausarbeiten von Topoi etc. ist wichtiger Bestandteil wissenschaftlicher Arbeit und Forschung in den Literaturwissenschaften.

Es kann also festgestellt werden, dass die Totenklagen literarische Intentionen verfolgen und keine wirklich gehaltenen Grabreden, Threnoi oder Grabepigramme sein sollen. Stattdessen sind sie meist parodistisch so überhöht, dass ein anderer Zeck erkennbar wird. Meist ist eine Kritik an den Besitzern bzw. Besitzern der Tiere erkennbar, zumindest bei dem Myia-Dichter der Hauptgrund. Denn hier wird mit dem Hund Kritik an der Untreue des Frauchens geübt, während bei Catull nur die exzessive Liebe humoristisch dargestellt und Leibniz zwar sicher nicht der Meinung ist, der Papagei sei vernunftbegabt (res cogitans), aber anderseits dann doch den Wünschen der Scudéry nachkommt.

 


Literatur:

Walter Reissinger: Die Gründung der Noctes Casimirianae; in: Musarum Sedes; Festschrift zum 400-jährigen Bestehen des Gymnasiums Casimirianum Coburg, Coburg 2005; Seite 173 ff.

Otterstedt, C. / Rosenberger, M. (Hg.): Gefährten – Konkurrenten – Verwandte. Die Mensch-Tier-Beziehung im wissenschaftlichen Denken; Göttingen 2009

https://www.bpb.de/themen/umwelt/bioethik/290626/mensch-tier-beziehungen-im-licht-der-human-animal-studies/ [Bioethik]

Hans-Joachim Glücklich: Catulls Gedichte im Unterricht; Göttingen 1980; besonders Seite 21 f.

Catull – Liebes- und Haßgedichte: Ins Fränkische übertragen von Hans Boas; Bamberg 2002; S. 48 ff. (C. 3)

https://gottwein.de/Lat/catull/catull003.php

https://www.lateinheft.de/catull/catull-carmen-3-ubersetzung/ [nicht zu empfehlen, nicht einmal der Ablativus comparationis „plus oculis suis“ in Vers 5 ist erkannt, sondern als Instrumentalis übersetzt!]

http://www.catull.de/html/carmen_3.htmlhttps://www.latein-unterrichten.de/fileadmin/content/unterrichtseinheiten/catull/image/Vokabeln_c._3.pdf [Lernwörter aus C. 3]


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